Fische  

Wer hat unsere Geschichte erzählt?

Wo sind wir stecken geblieben?

 

FLAMMEN | SUSU ABDULMAJID

Kelly McMiller

“SUNDAY STREAM: FLAMMEN”

ist eine Hörsendung mit mir, Susu AbdulMajid, angelehnt an das klassische Radioplay. Schlaflos in Seattle trifft auf True Crime made in Berlin. Das Konzept ist einfach: Meine Stimme, die auf deine wartet, denn ich will mit dir reden, weil ich es vielleicht sogar mehr brauche, als du. Schalte dich ein, erzähle mir, was dich bewegt oder höre einfach mit und zu. Ich möchte etwas loswerden, weißt du. Geschichten, die keinen Platz gefunden haben. Geschichten, die Platz sprengen und nicht auch nicht so sexy sind, momentan. Aber ehrlich sind sie schon. Das verspreche ich dir.

Eine Utopie/ Dystopie

Wer hat unsere Geschichte erzählt?

Wo sind wir stecken geblieben?

Sie sagten, ich werde ein Klischee sein. Aber heute gibt es Bilder von mir, mit Gesicht und Namen.

»Flammen« sind Stimmen, Stoffe, Begegnungen. Echtheitsgrade, existent auf der Fläche Deutschlands und Co.

Flammen, das bin ich und ich bin Teil eines Chors

Aggressiv verkannt, mythisch gelesen und phänomenalisiert. Das wurden wir. Wir sind der verdorbene Nachwuchs Penelopes und Odysseus ist schon lange tot. Sie liebten uns, dann jagten sie uns, dann verbrannten sie uns. Heute weinen sie immer noch nicht um uns. Unsere Stimmen, rau und herb, glasklar und seidig. Stimmen aus Asche, die jetzt wieder hörbar sind. Wir sind Zünder*innen, Geistige und Huren. Wir sind das Beste, was du je hast brennen sehen, das beste Zündmaterial für dich und deine Homies. Als sie uns Land genommen haben, glaubten sie uns mittellos und machten uns zu Frauen am Rande der Stadt. Von dort aus waren wir nur noch ein Punkt, brennend, lichterloh. Jetzt leuchten wir in dein Zimmer hinein, als kleiner runder Lichtfleck, direkt in dein Büro. Penelope hat nie geweint, sowie nie Jemand um sie geweint hat. Wir sind Spielerinnen und zünden in Blau. Stets auf der Suche nach Zündern, brennen wir deine Sehnsüchte nieder, entflammen die Schönheit des Körpers, bewerfen dich mit unserer Asche. Eine Lust, die gelebt wird. Ein Nerv, der getroffen wird. Unser Gesang ist euer neues Schlaflied. Ihr dachtet, es waren Wehklagen. Es war Gesang. Und ihr seid uns gefolgt wie den Sirenen- Seit 1586. Seit 1478. Seit 800 Bc. Seit 2001. Seit 2020.

Ich bin Flammen. 

Und ich bin Teil des Chors. Ein Chor sucht nach Antworten auf deutsche Fragen – Von Heimatahnen gerufen und Exilängsten gestiftet. Nun sind wir hier. Dies ist kein Exil, sondern ein Exit. Ihr habt gerufen, wir sprechen nun. Wir erzählen euch von unserer Kindheit, unseren Spielkamerad*innen, dem Verlorengehen der Kindheit, dem Verlorensein in der Jugend, dem Blut zwischen unseren Beinen, der Sehnsucht nach körperlicher Freuden, dem Scheitern individueller Existenzen, der Angst vor dem Ausschluss, der Liebe zueinander. Von Sehnsucht.

Ja, ich glaube, ich will dir schon etwas von Sehnsucht erzählen. Ich will es versuchen – nicht nur, weil es schön klingt, versprochen. 

Der Chor hilft mir dabei. Vielleicht finden wir Synonyme für Sehnsucht, vielleicht kannst du auch “Özlem” sagen. Das ist alles hier geschehen und ist doch nicht ganz von hier. Ich will ja nicht durchschaubar sein, will mir aber auch keine neue Identität suchen. Natürlich sind die Geschichten geprägt von unseren Müttern und Vätern aus Ländern mit schneebedeckten Bergen und Flüssen, die Wäsche aus Schafswolle verschlucken. Ja, ich bin geprägt von Frauen, deren Geschichten wir verneint haben. Dieses Deutschland ist ein kleines Sammelbecken, mit vielen weiblichen Unbekannten. Ein Territorium, das wächst, bis über die Ränder der Gutmütigkeit hinaus. Ein Fleck, der stetig übertreibt und unsere Stimme, dem falschen Ton zuordnet. Ein brennender Haufen aus Wald, Haar und Beton. Der Chor spricht von mir, denn ich bin jetzt dazugekommen -, und von denen, die hier seit Jahrhunderten ausharren. Von ihren Ausgangspunkten, die nicht erzählt wurden und von ihren Endpunkten, die zelebriert wurden.

Der Chor spricht

An der Erwartungshaltung dieses Landes an uns sind wir häufig gescheitert, viel zu oft verfielen wir einem Klischee, sei es das der Stadt und ihrer Sogkraft-, oder der Utopie einer modernen Frau „von heute“, die fabelhaft in das Erhaltungssystem integriert sei und sich von Opression längst frei gemacht habe. Oder ist es die Asche, die uns umgibt, die uns dunkler werden ließ? Ist es unsere Natur, die Entmachtung auslöste? Unsere Zeit ist gekommen, euch von wahrhaftigen Begegnungen zu erzählen. Von uns, denn wir haben Angst, nicht mehr gehört zu werden. Uns geht es nicht mehr nur um Beteiligung, sondern um Mitbestimmung.

Susana AbdulMajid

Susana AbdulMajid ist eine Schauspielerin, die als Tochter irakischer Eltern in Berlin geboren wurde. Nach der Schule studierte Susana Schauspiel in Berlin und New York. Nach ihrem Abschluss gründete sie mehrere Kollektive und spielte Straßentheater, wo sie Zelte aufbaute und originelle Stücke aufführte. Außerdem arbeitete sie in verschiedenen Asylheimen, wo sie mit Frauen aus Syrien und dem Irak Chöre auf Arabisch und Deutsch aufführte.

Seit 2014 arbeitete sie in ganz Europa an renommierten Theaterhäusern mit namhaften Regisseur*innen. 2019 war sie Teil des Ensembles für das Stück „Orestes in Mosul“ des Schweizer Regisseurs Milo Rau, mit dem sie die weltweit führenden Theaterfestivals eröffnete. 2018 spielte sie in dem Film „JIBRIL“ (Berlinale Panorama) von Henrika Kull, für den sie mehrere Nominierungen für den Deutschen Schauspielpreis als beste Hauptdarstellerin erhielt.

Susana ist Mitbegründerin des Kulturformats „Poetry Nights Berlin“ und „I Am Not Your Exotic Girl“, wo sie nahöstliche Poesie mit Live-Musik präsentiert. Sie schreibt Kurztexte und Gedichte und hat zusammen mit der Komponistin Dascha Dauenhauer mehrere Songs für deutsche Filme aufgenommen – der Song „Yella Hayat“ wurde als Bester Song im Film 2018 nominiert.

Sie hat außerdem Kulturwissenschaften an der Freien Universität Berlin mit den Schwerpunkten arabische Literatur und Theater studiert.

Instagram @susu_majid 

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